Wir Menschen sind soziale Wesen. Und deshalb sind Beziehungen zu anderen Menschen für unser Wohlbefinden wichtig. Der amerikanische Psychiater und Zen-Priester Robert Waldinger, Professor an der Harvard Medical School, ist sogar überzeugt: Gute Beziehungen sind der Schlüsselfaktor, ob wir uns glücklich fühlen oder nicht.
Waldinger stützt sich bei seiner Aussage auf einen einmaligen Datensatz, leitet er doch eines der wohl längsten psychologischen Forschungsprojekte zu diesem Thema. In der «Harvard Study of Adult Development» verfolgen Forschende nun seit mehr als 75 Jahren das Leben von über 700 Männern. 60 von ihnen sind immer noch am Leben, die meisten inzwischen über 90 Jahre alt. Jedes Jahr werden diese Männer über ihre Arbeit, ihre Wohn- und Lebenssituation, aber auch über ihre Gesundheit befragt, um herauszufinden, was ein sinnvolles und gesundes Leben ausmacht.
Die wichtigste Erkenntnis: Tragfähige Beziehungen prägen nicht nur massgeblich unsere Zufriedenheit und unser Glücksgefühl, sondern sie machen auch körperlich gesünder und verlängern das Leben.
Wir haben es selber in der Hand, wie wir mit anderen Menschen in Beziehung stehen.
Nun kann man einwenden, dass eine ganze Reihe von Faktoren mitspielen, ob sich jemand glücklich fühlt oder nicht. Und längst nicht alle lassen sich beeinflussen, beispielsweise die genetische Prägung. Aber dass Beziehungen für das Wohlergehen derart wichtig sind, ist letztlich doch eine gute Nachricht: Denn wie wir mit anderen Menschen in Beziehung sind, können wir selber stark beeinflussen. Und wir können lernen, wie wir gute Beziehungen zu anderen Menschen führen können.
Gemeinsam sind wir stärker
Doch was heisst überhaupt «glücklich sein»? Es bedeutet nicht, dass man permanent pure Freude und Heiterkeit empfindet. Dafür ist der Mensch gar nicht geschaffen. Denn das Leben beschert uns nicht nur Glücksmomente, sondern auch Rückschläge, Schwierigkeiten und Verluste, die wir verkraften und verarbeiten müssen.
Doch zum Gefühl von Glück und Zufriedenheit trägt auch die Fähigkeit bei, negative Erfahrungen zu akzeptieren und mit schwierigen Erfahrungen umzugehen. Es liegt auf der Hand, dass dies leichter fällt, wenn man sich mit anderen Menschen verbunden fühlt, wenn man sich in solchen Situationen getragen und aufgehoben fühlt, und wenn man Menschen hat, mit denen man sich austauschen kann und sich auch von seiner verletzlichen Seite zeigen kann – und zwar nicht nur mit dem Lebenspartner oder der Lebenspartnerin, sondern auch mit anderen Frauen und Männern, mit denen man freundschaftlich verbunden ist.
Gute Beziehungen entstehen nicht von alleine
Doch dieses wichtige Beziehungsnetz, das hält auch Waldinger fest, entsteht nicht einfach so. Tragfähige Beziehungen entstehen nach und nach, sie benötigen Sauerstoff und Raum, damit sie sich entfalten können. Sie erfordern Einsatz, Ausdauer – und Zeit. Und sie gelingen nur, wenn man sich mit dem anderen – aber auch mit sich selber – immer wieder auseinandersetzt und sich von schwierigen Gefühlen nicht abschrecken lässt.
Gerade weil Beziehungen so wichtig sind für das menschliche Wohlergehen, sind sie auch in unserer Arbeit immer wieder ein zentrales Thema. Es ist wichtig, sich mit sich selber auseinanderzusetzen und neue Seiten an sich zu entdecken. Doch letztlich geht es immer darum, die neuen Erkenntnisse und Fähigkeiten in die Beziehung zu anderen Menschen einzubringen. Denn nur dort kommen sie auch wirklich zum Blühen.
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